Projekt Job Shadowing: eine Grundbildung verlangt - im Vergleich zum Alltag der Volksschule - einige Änderungen

agvs-be.ch - ugi. Florian Wörlen studiert an der Pädagogischen Hochschule PHBern. Im Rahmen des Projektes Job Shadowing begleitete er in einem praxisorientierten Einsatz einen angehenden Automobil-Fachmann bei der Arbeit, um den Beruf kennenzulernen. Warum Florian Wörlen froh ist, dass er am Projekt teilgenommen hat, verrät er im Gespräch.
 
Praxisorientierter Einsatz
Am Institut Sekundarstufe I der Pädagogischen Hochschule PHBern absolvieren die Master-Studierenden das Modul Berufswahlvorbereitung – mit Vorlesung, Seminar und Vertiefungsangebot. In der Wahl-Vertiefungsveranstaltung «Berufslehre und Arbeitswelt» verbringen sie im Rahmen des Projekts Job Shadowing eine Woche in einem Betrieb und lernen dort die Berufslehre aus der Perspektive der Lernenden und des Betriebs kennen. Die PHBern arbeitet eng mit der Post, der BLS, Holzbau Schweiz, dem Automobilgewerbe und Berner KMU zusammen.

Lesen Sie hier die Projekt-Arbeit von Florian Wörlen.

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Florian Wörlen                             Ben Stettler                                                  AGVS-Ausbildungsbetrieb  
Studierender PHBern                  Lernender Automobilfachmann                 W. Blunier AG, Bümpliz
                                                      2. Lehrjahr
 

ugi / Florian Wörlen, Studierender PHBern: Herr Wörlen, Sie beschreiben Ihre Projekt-Erfahrungen in ihrem Fazit als sehr wertvoll. Welches sind die 3 wichtigsten Erkenntnisse für Sie?
-Zunächst einmal ist mir die Erkenntnis wichtig, dass die Berufswelt sehr gross ist. Auf Schülerinnen und Schüler wartet also eine ziemliche Herausforderung, wenn es darum geht, einen passenden Beruf zu finden. Dies allein kann wegen der grossen Auswahl schwierig sein, das kenne ich aus eigener Erfahrung. Dazu müssen sich die Jugendlichen in den Angeboten, die sie nach der Volksschule haben, zurechtzufinden lernen. Die Schule, und damit die Lehrperson, hat folglich eine zentrale Bedeutung bei diesem Prozess, welcher sie sich bewusst sein muss. Das gilt natürlich für alle Lehrpersonen, doch im Besonderen für Leute wie mich. Ich habe mich nach der neunten Klasse nicht für eine Lehre entschieden, sondern den gymnasialen Weg gemacht und kenne diesen Teil des Bildungssystems deswegen nicht gleich gut. Zusammengefasst geht es also um eine Verantwortung gegenüber den Schülerinnen und Schülern, was den Berufswahlprozess betrifft.
-Als weitere wichtige Erkenntnis sehe ich, dass es enorm hilfreich ist, in einen Betrieb zu gehen und diese Welt möglichst nah zu erleben. Die Modelle zu studieren und in Seminaren darüber diskutieren hat natürlich seinen Wert, das möchte ich nicht absprechen. Schlussendlich ist aber ein Besuch vor Ort, bei dem man in ein Team aufgenommen wird und die Abläufe und Dynamiken selbst sehen, hören und fühlen kann für mich eindrücklicher und sollte das Kernstück jeder Thematik sein. Ich bin also froh, hat mir die PH diese Möglichkeit gegeben und möchte dieses Prinzip des Lernens auch auf meinen Unterricht übertragen. Schnuppern sehe ich nun umso mehr als wichtigen Pfeiler der Berufswahl und ich möchte die Jugendlichen dahingehend speziell unterstützen und dazu ermutigen. Mit diesen eigenen Erfahrungen können, meiner Meinung nach, neue Sichtweisen erreicht und Entscheidungsgrundlagen geschaffen werden.
-Als letzte Erkenntnis möchte ich erwähnen, dass mir die Woche bei der Blunier AG wirklich gut gefallen hat. Ich wurde sofort als Teil des Teams aufgenommen und konnte selbst etwas praktisches Wissen erwerben. Mich haben Fahrzeuge ohnehin schon immer fasziniert, weswegen die Wahl, in eine Garage zu gehen, sehr leicht war. Ich habe zudem selbst ein Projektauto, anhand von welchem ich mir immer wieder etwas Wissen und Können selbst beizubringen versuche. Deswegen bestand in dieser Woche gleich eine doppelte Lernmöglichkeit. Ich konnte meine eigenen Schrauberfertigkeiten etwas verbessern, da ich unter Aufsicht mithelfen durfte. Mit den Händen zu arbeiten gefällt mir nach wie vor und ich sehe darin einen guten Ausgleich zu kopflastigen Tätigkeiten wie dem Studium. Die Woche hat mich also darin bestärkt, mein Hobby weiter zu verfolgen und eventuell den einen oder anderen Kurs dazu zu besuchen.

Die duale Berufsbildung ist ein Erfolgsrezept in der Schweizer Wirtschaft. Wie könnte diese Erkenntnis via Volksschule besser an Eltern und Schüler vermittelt werden?
Zunächst kann ich der Aussage, soweit ich das beurteilen kann, zustimmen. Ich habe das Zusammenspiel aus Arbeit im Betrieb und der Berufsfachschule als sinnvoll erlebt, sie ergänzen sich gut. Nach meinem bisherigen Eindruck ist es aber so, dass diese Wege noch nicht allzu oft und offen kommuniziert werden. Der Wert dieses Systems und sein Sinn mag für die, die sich darin und an den Schaltstellen davon befinden, durchaus ersichtlich sein. Er wird meiner Meinung nach jedoch teils zu wenig nach aussen aufgezeigt. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass ich vor dem Job Shadowing selbst von den einzelnen Teilen dieser dualen Ausbildung nicht allzu viel wusste, weil es mich nie direkt betraf. Schlussendlich kann diese Vermittlung nur über vermehrte Aufklärung und bessere Information erfordern. Die Volksschule soll dabei einen wichtigen Teil übernehmen. Das geschieht am besten damit, dass Lehrpersonen sich zunächst einmal selbst wirklich gut mit den einzelnen Bausteinen auseinandersetzen und allfällige Änderungen in der Ausbildung kennen. Ausgehend davon könnte es auch sinnvoll sein, einzelne Teile der Ausbildung mit Klassen zu besuchen. Das Schnuppern ist ein Teil davon, doch sie sollten nicht ausschliesslich die Arbeit im Betrieb sehen. Sinnvoll wäre es, auch einmal eine Infoveranstaltung oder einen Tag an der Berufsfachschule verbringen und, wenn man noch weiter gehen möchte, einen überbetrieblichen Kurs (ÜK) besuchen. Ich bin der Meinung, dass mit einer verstärkten persönlichen Auseinandersetzung bei den Schülerinnen und Schülern und genaueren Information der Eltern, beispielsweise an einem Elternabend, diese Thematik angegangen werden kann.

Welche Tipps haben Sie, damit die Autobranche ihre Ausbildungsangebote bei den Schüler/-innen noch optimieren kann?
Ich finde, dass es grundsätzlich nie genug Kurse und Möglichkeiten geben kann, sich weiter zu bilden und sich damit theoretisch wie auch fachlich zu verbessern oder Neues zu lernen. Diese Angebote beziehen sich natürlich auf eine Zeit nach der Lehre. Es ist jedoch für Jugendliche gut zu wissen, was sie später noch alles basierend auf einer bestimmten Lehre machen können. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, dass die Autobranche einerseits aufzeigen kann, dass es sie auch in Zukunft noch brauchen wird und wie genau dies sein wird. Andererseits sollte sie aber auch zu den grossen Veränderungen stehen, die uns erwarten, beispielsweise mit der Abkehr vom klassischen Verbrennungsmotor. Ich habe von einzelnen Lernenden vernommen, dass sie sich Gedanken darüber gemacht haben, ob es den Beruf Mechaniker so noch geben wird oder nicht. Daraus folgte die Überlegung, ob sich eine Lehre in diesem Bereich noch lohnt. Das zweite, was ich in Bezug auf Optimierungsmöglichkeiten wahrnehmen konnte, war, dass Lernende gerade den schulischen Teil manchmal als notweniges Übel wahrnehmen. Während sich natürlich nicht alle für die Schule begeistern lassen, so könnte es doch helfen, den Jugendlichen Hilfswerkzeuge an die Hand zu geben. Ziel ist es, dass ihnen das Lernen und der Stoff einfacher fallen. Übersichten über die wichtigsten Inhalte von Themen, Merkkarten für die Werkstatt, Aufträge, die klar mit ihrem Alltag in der Werkstatt verbunden sind und, wenn möglich, weniger lange Blöcke mit einzelnen Fächern würden, glaube ich, etwas helfen. Als letzten Punkt möchte ich auch etwas erwähnen, was mir mehrmals von Lernenden gesagt wurde. Es war ihnen sehr wichtig, eine möglichst umfassende Ausbildung im Betrieb zu erhalten und nicht immer die gleichen Tätigkeiten aufgetragen zu bekommen. Natürlich ist es normal, dass man zu Beginn der Lehre noch nicht alles kann und darf und man auch die weniger aufregenden Arbeiten macht, öfter als ausgelehrte Mitarbeitende. Ebenso ist es verständlich, wenn beispielsweise in Teilen des Herbsts fast nur Reifen gewechselt werden müssen, dass alle hier anpacken und die Arbeit nicht sehr abwechslungsreich ist. Es darf jedoch nicht sein, dass Lernende im letzten Lehrjahr fast ausschliesslich Reifen wechseln und Fahrzeuge putzen. Sie sollen, so wie ich das auch in meinem Job Shadowing gesehen habe, die Möglichkeit haben, Neues zu lernen und ihre Kompetenzen so gut wie möglich zu erweitern. Da dies aber offenbar in gewissen anderen Betrieben teils nicht so ist, wäre also unter Umständen eine verstärkte Kontrolle sinnvoll. Damit könnte besser sichergestellt werden, dass die Jugendlichen so viel wie möglich aus ihrer Lehrzeit mitnehmen.

Wie beurteilen Sie den Unterschied zwischen Ihrer gymnasialen Ausbildung gegenüber der beruflichen Grundbildung?
Eine interessante Frage, schliesslich sind beides Wege, die Jugendliche nach der Volksschule gehen können. Zunächst einmal ist ihre Ausrichtung natürlich sehr verschieden. Während im Gymnasium eine Erweiterung der Allgemeinbildung in den schon bekannten Schulfächern im Vordergrund steht, während in einer Lehre viel stärker praktisch gearbeitet wird und sich Jugendliche viel mehr spezialisieren. Grundsätzlich finde ich beide Wege wichtig, da sie unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen bedienen. Während ich meine Entscheidung, das Gymnasium zu besuchen, nicht bereue, so hat doch die Lehre auch ihre Vorzüge. Zunächst ist es natürlich so, dass man in einer Lehre bereits Geld verdient und damit schneller unabhängig ist. Ausserdem hat man am Ende einer Lehre bereits eine fertige Ausbildung, was eine gewisse Sicherheit gibt. Man kann eine Berufsmaturität machen und anschliessend eine Passerelle, nach der man ebenfalls eine Universität besuchen kann. Am Ende des Gymnasiums hat man hingegen eigentlich noch nichts, ist dafür für ein mögliches Studium breiter aufgestellt. Aus meiner Erfahrung an der PHBern kann ich zudem sagen, dass diejenigen, die vor dem Studium am Gymnasium waren, mit den fachlichen Grundlagen weniger Mühe hatten und weniger für diese Prüfungen lernen mussten als diejenigen mit Berufsmaturität. Es scheint also trotz der Passerelle gewisse Unterschiede bei der Tiefe des bearbeiteten Stoffes zu geben, was zu erwarten ist, denn eine Gruppe erlernte ja noch einen Beruf. Dafür halte ich Veranstaltungen wie das Job Shadowing für Leute wie mich, die keine Erfahrungen mit einer Lehre haben, umso wichtiger. Ich muss ebenfalls ein gewisses Wissen über diese Welt haben, damit ich Schülerinnen und Schülern adäquat zur Seite stehen kann bei ihrer Berufswahl. Ich würde also insgesamt nicht einen Weg über den anderen stellen. Schlussendlich bin ich froh, dass es diese Auswahl gibt und einem am Schluss von beiden alle Möglichkeiten offenstehen.  

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